Persönliche Freiheit oder zum Wohl der Anderen?
von Hans-Peter Mumssen
Wir alle erleben gerade, dass sich die Corona-Lage wieder verschlechtert. Immer öfter komme ich auch ins Gespräch mit Personen, die einige Maßnahmen sehr kritisch sehen. Vor allem beschäftigt sie die Frage, ob Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, in Zukunft diskriminiert werden.
Nun, wir erleben schon seit Jahren Gegensätze in unserer Gesellschaft, auch unter Christen, was auf verschiedene Sichtweisen zurückzuführen ist. Die einen sagen: „Mit einer Impfung erhöhst du den Schutz für dich und andere.“ Für andere stehen ein eventuelles Impfrisiko und die persönliche freie Entscheidung im Vordergrund. Fast umgekehrt sind die Positionen z.B. bei dem Thema „Ehe für alle“ aus. Da sagen die einen: „Lass die Menschen doch so zusammenleben, wie sie es wollen“, während andere den Schutz der klassischen Familie und der Identitätsbildung der Kinder gefährdet sehen. Mal ist es die persönliche Freiheit, die im Vordergrund steht, mal die Sorge um das Wohl anderer. Wie sollen wir als Christen mit diesen Gegensätzen umgehen und gleichzeitig die Einheit bewahren?
Ich habe mich einmal gefragt, wie Jesus Christus und die Apostel eigentlich auf die Zustände ihrer Zeit reagiert haben. Dort wurden z.B. Aussätzige aus dem gesellschaftlichen Leben herausgenommen. Es gab unterschiedliches Recht für römische und nicht-römische Personen. Es gab Sklaven und Lustknaben, Tempelprostitution und drakonische Strafen, die teilweise völlig willkürlich verhängt wurden. Einer der Jünger Jesu, nämlich Simon, gehörte zur Partei der Zeloten. Das waren Widerstandskämpfer gegen die römische Besatzung. Es gab also gewiss auch gegensätzliche politische Ansichten unter den Jüngern Jesu. Nur hat Jesus das jemals thematisiert?
Ich denke, jede Sichtweise, die ein Handeln anderer erwartet oder Druck auf andere ausübt, umschifft ein viel tiefer liegendes Problem. Dass wir nämlich selber nicht in der Lage sind, das Richtige zu tun. Was nützt es, wenn jemand von der Politik mehr Freiheit fordert und im Privatleben andere unter Druck setzt? Was nützt es, wenn jemand der Welt erklärt, man solle nicht lügen, aber selber lügt? Jesus Christus befahl Simon dem Zeloten weder seine politische Meinung zu ändern noch diese durchzusetzen. All das trifft nicht den Kern, um den es wirklich geht:
Kann man am Leben der Christen erkennen, dass es auch anders geht? Jesus sagte einmal: „Wenn euer Leben der Gerechtigkeit Gottes nicht besser entspricht als das der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr mit Sicherheit nicht ins Himmelreich kommen.“ (Matt. 5,20) Das sind schon klare Worte. Ohne Erlösung ist das aber nicht möglich. Beispielsweise kann ich anderen genau erklären, wie man Ordnung hält. Das heißt aber lange noch nicht, dass ich es schaffe, selber Ordnung zu halten. Dafür brauche ich Erlösung – und mein Gegenüber übrigens auch!
In diesem Sinne möchte ich uns ermutigen, uns darauf zu konzentrieren, selber so zu leben und so mit anderen umzugehen, wie es Jesus Christus entspricht. Denn nur auf diese Weise ist unser Zeugnis glaubwürdig. Und wenn wir merken, dass wir dieses Ziel noch nicht erreicht haben, lasst uns auch mit anderen Geduld haben und sie einladen, sich mit uns zusammen auf den Weg zu machen.