Exkursion am 8. Juni 2024 ins ehemalige Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg: das Grindelviertel

von Erling Eichholz

An einer Exkursion ins ehemalige Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg, veranstaltet vom CZA-Arbeitskreis Israel, nahmen 24 Christinnen und Christen aus dem CZA und vier weiteren Gemeinden teil. In der Eingangshalle des Uni-Hauptgebäudes am Dammtorbahnhof referierte Klaus Fesefeldt zu Beginn den Weg der Juden von der Zerstörung Jerusalems 70 und 135 n. Chr. und der anschließenden Vertreibung durch die Römer in alle Länder rund ums Mittelmeer und Süddeutschland. „Sie wurden immer verfolgt“, so das Resümee von Klaus. Im Mittelalter kamen dann Sepharden aus Spanien und Aschkenasen aus Osteuropa infolge von Pogromen ab ca. 16oo auch nach Hamburg.

Höhepunkt der Verfolgung war die Ermordung der Juden im Dritten Reich. Wie das konkret durchgeführt wurde, konnten wir anschließend auf der Moorweide, einer großen Wiese, direkt neben dem Uni-Gebäude, nachvollziehen. Hierhin wurden von 1941 bis 1945 die Hamburger Juden aus ihren Häusern geholt und versammelt. Hier wurden sie auf Lastwagen geladen, zum ehemaligen Hannoverschen Bahnhof (Nähe Hafencity) gebracht und von dort mit Güterzügen in die Konzentrationslager transportiert – für vier Pfennig pro Person und Kilometer, Kinder für zwei Pfennig. Die Fahrkarte in ihren eigenen Tod mussten sie selbst bezahlen. In 17 Zügen wurden über 5.900 Juden von hier nach Osten transportiert, nur wenige überlebten.

Unser Weg führte weiter durch das Grindelviertel über mehrere Stationen bis zum früheren Bornplatz, heute Joseph-Carlebach-Platz. Hier stand einmal mit 1.200 Plätzen die größte Synagoge Norddeutschlands, erbaut 1906. 1860 wurden die Juden nach jahrhundertelanger Diskriminierung erstmals der übrigen Bevölkerung gleichgestellt. In der Folge wurde das Grindelviertel zum Zentrum jüdischen Lebens mit vielen sozialen und religiösen Einrichtungen und der großen Synagoge als repräsentativem Mittelpunkt.

Die Synagoge wurde in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 niedergebrannt und zerstört. Das Abräumen des Schutts musste die jüdische Gemeinde selbst bezahlen. Wir standen vor dem Bodendenkmal, das im Pflaster die frühere Deckenkonstruktion der Synagoge 1:1 abbildet, und erfuhren, dass jetzt endlich ein Wiederaufbau geplant ist. Das war auch eine wichtige Lehre aus diesem Tag: Es dauerte an all den Stationen Jahrzehnte bis zu einem Gedenken, einer Würdigung oder einer Wiedergutmachung – aber erstaunlicherweise geht der Prozess immer noch weiter.

Das Bild der prächtigen Talmud-Tora-Schule direkt neben der Synagoge hinterließ einen bitteren Geschmack: Eine Containerzelle vor dem Eingang, besetzt mit Polizisten mit Maschinenpistolen zur Bewachung der Schule, erinnerte an die mögliche Bedrohung, der Juden auch heute noch in Hamburg ausgesetzt sind. Und gleichzeitig die hoffnungsvolle Nachricht: Die Schule platzt aus allen Nähten und mietet bereits anderswo zusätzliche Räumlichkeiten für die Verwaltung an.

Anschließend liefen wir durch die Wohnviertel. Etwa 22.000 Juden lebten geschätzt vor 1933 in Hamburg. Rund 14.000 von ihnen schafften es vor den Deportationen ins Ausland zu fliehen, einige überlebten im Untergrund, andere begingen aus Verzweiflung Selbstmord. Hier nun sahen wir an den vielen Stolpersteinen vor den Häusern die Schicksale derjenigen, die dort gewohnt hatten und die es nicht schafften zu entkommen. Eingraviert in die 10 x 10 cm großen Messingtafeln steht jeweils „Hier wohnte …“ gefolgt vom Namen des Opfers und dem Geburtsjahr, häufig mit Deportationsjahr und Todesort.

Und noch etwas wurde uns dabei klar: Der Holocaust ist häufig so fern, in Auschwitz in Polen, im 2. Weltkrieg, ganz weit zurück, aber hier war er auf einmal ganz gegenwärtig und ganz persönlich: Knapp 17% betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung im Grindelviertel und drumherum bestand der Großteil aus nicht-jüdischen Nachbarn, die die jahrelange Entrechtung und Demütigung ihrer Mitbewohner und ihrer anschließenden Deportation direkt miterlebten.

Nach diesem Rundgang kehrten wir ein ins Café Leonar, einem jüdischen Café voller Leben und Stil, und so hatten wir nach den vielen negativen Infos des Weges doch noch einen fröhlichen Ausklang, auch wegen der schönen Verbundenheit unter uns Teilnehmern aus den 5 verschiedenen Gemeinden. Uns verband das gemeinsame Interesse am Schicksal der Hamburger Juden und das wurde durch die aufbereitete Informationsfülle vollkommen befriedigt.